KI für Total Productive Maintenance im Energiesektor
Von der Energieerzeugung über den Netzbetrieb bis hin zur Endkundenversorgung müssen Unternehmen im Energiesektor eine Vielzahl von Faktoren überwachen. Neben klassischen KPIs wie Anlagenverfügbarkeit, Overall Equipment Effectiveness (OEE), Mean Time Between Failures (MTBF) und Mean Time to Repair (MTTR) gewinnen vor allem Frühwarnindikatoren zunehmend an Bedeutung. Sensorbasierte Daten ermöglichen es, Abnutzungserscheinungen und drohende Defekte frühzeitig zu erkennen. Gleichzeitig wird es immer wichtiger, Bedarfs- und Verbrauchsdaten intelligent in die Analyse einzubeziehen, um Engpässe und Lastspitzen vorherzusehen und Versorgungssicherheit proaktiv zu steuern.
Hier setzt Total Productive Maintenance (TPM) an. TPM ist ein ganzheitliches Instandhaltungskonzept zur optimalen Anlagen- und Infrastrukturpflege. Da ungeplante Störungen die Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit erheblich gefährden, bietet TPM ein Framework für vorbeugende Wartung, kontinuierliche Optimierung und die enge Einbindung der Mitarbeitenden.
Die acht Säulen der Total Productive Maintenance
Diese folgenden acht Säulen stecken den logischen Rahmen für die Umsetzung des Total-Productive-Maintenance-Konzepts. Einzelne Teile dieses Konzepts werden bereits erfolgreich bei vielen Firmen eingesetzt. Jedoch ist insbesondere die Administration sowie die damit verbundene Orchestrierung der Teilprozesse ein Punkt, der nur in wenigen Organisationen stringent verfolgt wird.
- Autonome Wartung: Sensibilisierung und Schulung des Personals, welches an und mit den Assets arbeitet, kleinste Abweichungen vom Sollzustand zu erkennen und einfache Wartungsaufgaben zu erfüllen.
- Geplante Wartung: Planung der Wartungsmaßnahmen mit entsprechendem Vorlauf. Feste Wartungsintervalle bilden die Basis und werden durch KI-Modelle zur Vorhersage des optimalen Wartungszeitpunktes unterstützt. Somit können Maßnahmen vorgezogen werden, um ungeplante Ausfälle von Assets zu vermeiden.
- Qualitätswahrung: Assets (z.B. Trennschalter) werden mittels Sensorik überwacht, ob sie ihre Aufgabe noch entsprechend der Anforderungen erfüllen. Bei Abweichungen wird das Wartungspersonal informiert. Je nach vorhandener Sensorik können Ursachen für vorzeitige Verschleißeffekte identifiziert werden.
- Kontinuierliche Verbesserung: Identifikation und Umsetzung von oftmals kleinen, schrittweisen Verbesserungen zur langfristigen Minimierung anfallender Kosten. Fokus dieser Maßnahme sind in der Regel die Prozessabläufe sowie die verwendeten Werkzeuge.
- Optimierte Erneuerung: Erkenntnisse über Unzulänglichkeiten vorhandener Assets bedingen Anforderungen an zu beschaffende oder zu entwickelnde Assets und ermöglichen damit Innovationen sowie größere Schritte hinsichtlich einer ganzheitlichen Optimierung.
- Aus- und Weiterbildung: Das im Total-Productive-Maintenance-Prozess eingebundene Personal wird regelmäßig hinsichtlich technischer, prozessualer und organisatorischer Neuerungen aus- und weitergebildet.
- Sichere Arbeitsumgebung: Wahrung einer sicheren Arbeitsumgebung (z.B. durch Inspektionen) sowie sicherheitsorientierter Prozesse (z. B. 4-Augen-Prinzip beim Schalten im Zusammenhang mit Wartungsmaßnahmen), um Unfälle zu vermeiden, wenn Personal an den Assets ist.
- Administration: Organisation des Total-Productive-Maintenance-Prozesses sowie der damit involvierten Teams, um die Einhaltung des Prozesses abzusichern.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Asset Monitoring: Während im Kontext von Manufacturing — dem Ursprung von Total Productive Maintenance — davon ausgegangen werden kann, dass ständig Personal anwesend ist, das während der Produktion den Zustand der Anlagen überwacht, so ist diese Annahme im Energiesektor höchstens für Erzeugungsanlagen zumindest in Teilen haltbar, nicht aber zum Beispiel für die Netzkomponenten. Bei Letzteren ist nicht nur selten Personal in der Nähe, viele Komponenten sind den Beschäftigten nur als Typ bekannt, nicht aber deren individueller Zustand. Hinzu kommt, dass die Konsequenzen von Schäden zumeist deutlich weitreichendere Folgen haben als im Manufacturing-Bereich. Daher ist es unumgänglich, geeignete Sensorik zur Fernüberwachung des Betriebs zu installieren sowie mobile Sensorik für temporäre Messungen zu erproben, um zumindest digital den Zustand der Assets mit scharfen Sinnen zu überwachen.
Mit Blick auf die Menge der anfallenden Daten bietet es sich an, die Daten mittels Künstlicher Intelligenz (KI) möglichst am Asset auszuwerten und nur die Ergebnisse der KI-Modelle in einer zentralen Cloud zusammenzuführen. Darüber hinaus können die KI-Modelle als Agenten fungieren, welche beispielsweise Schaltvorgänge in Umspannwerken selbstständig durchführen können.
Wartungsintervalle: Nach bestem Wissen und Gewissen sowie geltenden Regeln geplante Wartungsintervalle bilden in jedem Fall eine solide Basis, um die Anlagenverfügbarkeit weiter zu erhöhen. Jedoch liegt diesen Wartungsintervallen die Annahme zugrunde, dass die Belastung der Assets über lange Sicht nahezu unverändert ist. Im Zuge der fortschreitenden Diversifizierung eintretender Lastszenarien durch die Dezentralisierung der Energieerzeugung sowie der zunehmenden Elektrifizierung steigt das Risiko, dass die Belastung der Assets den bei der Erstellung der Wartungspläne getroffenen Annahmen nicht mehr entspricht. Hierdurch steigt die Belastung der Assets und somit das Risiko eines Ausfalls vor dem nächsten geplanten Wartungszeitpunkt. Abhilfe schafft auch hier die engmaschige Überwachung der Assets mittels geeigneter Sensorik. So können sich anbahnende Ausfälle nicht nur frühzeitig identifiziert werden, sondern auch Gegenmaßnahmen durch automatisierte Warnungen rechtzeitig eingeleitet werden.
Wissensmanagement: Der Betrieb und die Instandhaltung von Anlagen im Energiesektor ist eine komplexe und wissensintensive Aufgabe. Neben vielschichtigem Wissen über die Systeme, ihre Komponenten und ihren Betrieb werden außerdem weitreichende Detailkenntnisse über den Aufbau der Anlagen und ihren Betriebs- und Wartungszustand gebraucht. In den letzten Jahren wurden hier durch Wissensgraphen, Ontologien und Semantic Web viele neue Möglichkeiten geschaffen, bedeutend effektiver und effizienter als früher Wissen zu konservieren, zu finden und in neuen Kontexten nachzunutzen. Ein Blick auf die demographische Verteilung der Arbeitskräfte in Deutschland verdeutlicht darüber hinaus die Dringlichkeit, das Wissen von erfahrenen Mitarbeitenden in der Organisation zu erhalten. Hierbei geht es weniger darum, Personal zu sparen, vielmehr ist es das Ziel, das vorhandene Personal zu entlasten und das verbleibende Personal auf die kommenden Jahre besser vorzubereiten. Insbesondere dann, wenn Mitarbeitende in Rente gehen und nicht mehr jede noch so komplizierte Frage souverän beantworten können.
Aufbauend auf den Ontologien als logische Beschreibung eines Systems eröffnen Digitale Zwillinge unter anderem die Möglichkeit, vorhandene Informationen miteinander zu vernetzen, Analysen auf Basis der Daten in den richtigen Kontext zu setzen und Entscheidungsprozesse zu automatisieren. Darüber hinaus kann das in der Organisation vorhandene Wissen über Assets und Prozesse in einem Digitalen Zwilling gebündelt werden und über Chatbots oder Avatare auf intuitive Weise zugänglich gemacht werden. Damit ist es möglich, die Fragen der Mitarbeitenden in Zukunft von digitalen Mitarbeitenden beantworten zu lassen, die von dem Wissen der gesamten Organisation profitieren. Doch was ist eigentlich ein Digitaler Zwilling und wie können bestehende Daten und Informationen verwendet werden, um bestehende Prozesse oder Assets möglichst umfassend digital abzubilden?
Kooperation mit Fraunhofer IIS und Red Hat
Die Entwicklung und Implementierung von KI- und Automatisierungslösungen für Total Productive Maintenance im Energiesektor ist ein komplexes Unterfangen. Die in diesem Artikel dargestellten Aspekte beleuchten einen Teil der Herausforderungen und Chancen, die Vielseitigkeit der Anwendungsfälle und branchenspezifischen Anforderungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Genau hier setzt die Zusammenarbeit des Fraunhofer IIS mit Red Hat an: Gemeinsam bieten wir eine umfassende Kompetenz, von der Infrastruktur bis zur Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen.
Als erster Einstiegspunkt dient ein gemeinsamer Workshop mit Fraunhofer IIS und Red Hat, in dem Energieunternehmen mögliche Anwendungsfälle skizzieren, Herausforderungen näher beleuchten und geeignete Ansätze zur Umsetzung diskutieren können.
Zur Umsetzung konkreter Projekte bieten wir ein Joint AI & Automation Lab an. Red Hat stellt die skalierbare Plattform-Infrastruktur bereit, während Fraunhofer IIS die Projektleitung sowie die Forschung und Entwicklung der KI- und Automatisierungskomponenten übernimmt. Diese enge Zusammenarbeit ermöglicht die Entwicklung innovativer, praxisnaher und produktiv einsetzbarer Lösungen.
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